Wir müssen Lebensräume lassen
Badische Zeitung – Interview mit Jörg Aldinger über nachhaltiges Bauen / 13.03.2013 Vortrag in Lahr.
LAHR. Gefällt mir das Haus, das ich heute baue, auch in 50 Jahren noch? Kann ich im Alter noch problemlos darin wohnen? Und woher kommt die Energie, die mein Haus benötigt? Fragen, die sich demjenigen stellen, der nachhaltig bauen möchte. BZ-Redakteurin Nikola Vogt hat bei Architekt und Lehrstuhlinhaber für energieoptimiertes Bauen, Jörg Aldinger, nachgefragt, was ein nachhaltig gebautes Haus mit sich bringen muss.
BZ: Herr Aldinger, wenn ich als Laie davon höre, dass Bauen jetzt nachhaltig sein soll, scheint mir das zunächst nichts Neues zu sein. Wer ein Haus baut, hat dies doch schon immer für Jahrzehnte gebaut und im Voraus geplant, oder nicht?
Jörg Aldinger: Das ist im Prinzip richtig. Schon vor 500 Jahren hat man nachhaltig gebaut, weil die Materialien und das Wissen dafür gegeben waren. Die Einschränkung auf Weniges und Natürliches war positiv. Mit der Industrialisierung des Bauens und der Delegation der Aufgaben, also der Aufteilung in Planen, Bauen und Nutzen hat die Nachhaltigkeit an Selbstverständlichkeit verloren. Ausgelöst wurde diese Entwicklung von den Prinzipien des markt- und renditeorientierten Bauens. Kurze Investitions- und Amortisationszyklen verschränken den Blick auf langfristige nachhaltige Entwicklungen.
BZ: Nachhaltiges Bauen umfasst vermutlich viele Aspekte. Was ist bei der Planung zu beachten?
Aldinger: 50 Prozent aller Menschen auf der Welt leben in Großstädten. Laut Unesco sollen es in 20 Jahren sogar 70 Prozent sein. Wichtig ist, diesen Vorgang so verträglich wie möglich zu gestalten. Wir dürfen nicht zu dicht bauen, müssen Lebensräume lassen, wir müssen auf das Mikroklima achten und die verkehrliche Infrastruktur mitbedenken.
BZ: Was ist noch wichtig?
Aldinger: Die kulturelle und soziale Nachhaltigkeit würde ich an erste Stelle setzen. Wir müssen dauerhafte Akzeptanz für unsere und nachfolgende Generationen erreichen. Es darf nicht so sein wie bei den Häusern aus den 1970er Jahren, die heute keiner mehr sehen will. Wir müssen Identifikation mit dem Gebauten über Generationen ermöglichen. An zweiter Stelle sehe ich die Wandlungsfähigkeit von Gebäuden. Vielleicht werden bald aus Kindergärten Tagespflegeeinrichtungen für Alte. An dritter Stelle ist die Ökologie zu nennen.
BZ: Zum Beispiel?
Aldinger: Baustoffe aus regenerativer Produktion. Nehmen wir beispielsweise ein Kunststoffprodukt als Wärmedämmung und Fassadenputz. Die Konstruktion hält bestenfalls 20 Jahre und muss dann als Sondermüll entsorgt werden. Dem entgegen steht alles, was aus regenerativen Baustoffen, also beispielsweise Holz oder Mineralien gewonnen werden kann. Es hält länger und belastet die Umwelt weniger.
BZ: Würden Sie als Experte generell eher auf Sanierung oder Neubau setzen?
Aldinger: Auch wenn wir gesamtgesellschaftlich immer im Neuen die Verheißung der Zukunft sehen, muss ich doch ein Plädoyer für die Sanierung halten. Ich meine nicht die partielle Verbesserung durch Wärmedämmung, sondern die Wandlung und Neuinterpretation des Alten ist unsere Zukunft, da wir Ressourcen sparen können und uns gleichzeitig kreativ einbringen können.
BZ: Welchen Energieträger würden Sie in puncto Nachhaltigkeit auswählen?
Aldinger: Wichtig ist die ganzheitliche Betrachtung. Immer auf Solarenergie zu setzen, wäre zu kurz gesprungen. Lage und Ort sind entscheidend. Sonnige Gebiete wie Freiburg bieten sich für Solarenergie an, anderswo würde ich es weniger empfehlen, sondern beispielsweise Geothermie untersuchen. Und auch die Nutzung hat Auswirkungen auf die energetische Versorgung. Baue ich ein Wohnhaus, das dauerhaft genutzt wird, oder eine Schule, die an fünf Tagen die Woche für eine bestimmte Stundenzahl genutzt wird? Das ist ein Riesenunterschied. Ob ich so ein hohes Level wie den Passivhausstandard oder den Energie-Plus-Standard, wo mehr Energie gewonnen als verbraucht wird, an eine Schule anlegen würde, ist fraglich. Für das Wohnhaus darf es keine Frage sein, sondern muss selbstverständlich sein.
BZ: Wie gut ist das Thema nachhaltiges Bauen schon in den Köpfen der Bauherren angekommen?
Aldinger: Diejenigen, die für sich selbst bauen, denken sehr über das Thema nach. Besonders auch wegen der energetischen und damit finanziellen Aspekte. Gesamtgesellschaftlich ist das Thema noch nicht so gut angekommen. Oft steht die Minimierung der Investition im Vordergrund. Unsere Gesellschaft hinterlässt den nachfolgenden Generationen einen großen kollektiven Sanierungsfall.
“Nachhaltig Bauen – was steckt dahinter?” Unter diesem Motto findet am Mittwoch, 13. März, 19 Uhr, eine Ausstellung mit Vortrag in der Volksbank, Schillerstraße 22, statt. Unter anderem spricht auch Jörg Aldinger zum Thema.